Neue Entscheidungen des Bundesfinanzhofs

Am heutigen Mittwoch, (21. 9). hat der Bundesfinanzhof zwei Entscheidungen veröffentlicht. Beide befassen sich mit der Frage, unter welchen Umständen ältere Steuerbescheide noch geändert werden dürfen, nachdem sie eigentlich bereits bestandskräftig geworden waren. Im einen Fall beantragte ein Finanzamt aus Mecklenburg-Vorpommern eine solche Änderung (Aktenzeichen IV B 167/04), im anderen Fall eine bayerische ehemalige Verlustzuweisungsgesellschaft (Aktenzeichen IV R 11/04 ). Beide Anträge scheiterten.

Mit der Entscheidung gegen das Finanzamt hat sich der BFH in dem MeckPomm-Fall ausdrücklich auch gegen eine Rechtsauffassung des Bundesfinanzministeriums gewandt, die im Bundessteuerblatt veröffentlicht ist. Damit gräbt der BFH ein Kriegsbeil aus, das die Berliner Beamten vor drei Jahren vergraben hatten. Das Ministerium hatte seinerzeit – im Einvernehmen mit den Ländern – seinen jahrelang durchgehaltenen Widerstand gegen eine neue Rechtsprechung des BFH aufgegeben. Nur ist die Sache damit längst nicht erledigt. Denn der lange Zwist hatte Folgen. Im Zweifel gilt jetzt: Die unmittelbar Betroffenen sind die lachenden Dritten.

Ebenfalls heute erklärte das Bundesfinanzministerium in einem Schreiben sein Einverständnis mit einer geänderten Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs zur Umsatzsteuer. Der BFH hatte am 10. März entschieden, dass die Vergütung des Geschäftsführers einer GmbH umsatzsteuerpflichtig sein kann (Aktenzeichen des BFH-Urteils: V R 29/03).

Der Fall aus Mecklenburg-Vorpommern berührt unmittelbar die Nahtstelle von Verwaltung, Gesetzgebung und Rechtsprechung. Es geht dabei um die Folgen, die es hat, wenn die obersten Finanzbehörden über längere Zeiträume eine andere Rechtsauffassung zu einer Vorschrift im Einkommensteuergesetz vertreten als die Gerichte, dann aber schließlich einlenken. So lange es diesen Dissens gibt, verpflichten die Finanzminister die Beamten, die kontroversen Urteile des BFH nicht anzuwenden. Solche Nichtanwendungserlasse beruhen meist darauf, dass die Richter – meist die des Bundesfinanzhofs – ihre Rechtsprechung geändert haben. Das Ziel der Erlasse besteht fest stets darin, die Richter von einer anderen Deutung des Gesetzes zu überzeugen. Es gibt allerdings auch ganz andere Fälle. Davon vermutlich in Kürze.

Das vorliegende Urteil beruht auf einer Änderung der Rechtsprechung, die der BFH am 9. November 1983 eingeleitet hatte (Aktenzeichen I R 174/79, Bundessteuerblatt II 1984, S. 212 nicht im Internet). Das Bundesfinanzministerium hatte darauf damals mit einem so genannten Nichtanwendungserlass reagiert. Erst im Oktober 2002 gab das Bundesfinanzministerium im Einvernehmen mit den Ländern nach.
Die Kontroverse betraf die so genannte Betriebsaufspaltung.

Diese Rechtsform kennzeichnet meist das Verhältnis von Privatpersonen zu einer GmbH, deren Anteile diese Privatpersonen besitzen. Typischer Fall: Ein Einzelhändler gründet eine GmbH und führt die Geschäfte unter deren rechtlichem Dach fort. Zu diesem Zweck behält er aber das Grundstück und die Einrichtung im Privatvermögen und verpachtet es seiner GmbH nur. Damit könnte er eine Reihe steuerlicher Vorteile nutzen. Zum Beispiel könnte er das Grundstück eines Tages mit hohem Gewinn weiterverkaufen, ohne dafür Steuern zahlen zu müssen.

Die Nutzung solcher Vorteile verwehrt ihm jedoch die „Betriebsaufspaltung“: Sie unterstellt, dass auch die Verpachtung durch den Kaufmann ein gewerblicher Vorgang ist, dass sich also das verpachtete Grundstück nicht in dessen Privatvermögen befindet, sondern in einer gewerblichen Verpachtungsfirma. Die Steuervorteile sind damit (im Wesentlichen) beseitigt.

Die Rechtsprechung begründet diese Haltung damit, dass bei der verpachtenden Firma und der pachtenden GmbH ein „einheitlicher Betätigungswille“ vorliegt. Dieselbe Konsequenz ziehen die Richter auch, wenn nicht nur eine einzelne Person Verpächter und Eigentümer der GmbH-Anteile ist. Auch eine ganze Gruppe von Menschen, welche die Mehrheit an der GmbH hält und zugleich das Grundstück und vielleicht auch die verpachtete Ausstattung, kann als Verpächter wie als Pächter einen „einheitlichen Betätigungswillen“ haben.

Familienbetriebe vermeiden diese Einschränkung gerne. Ein Weg dazu war jahrelang, dass der eine Ehepartner das Grundstück allein besitzt, der andere die GmbH. Damit war der „einheitliche Betätigungswille“ nicht mehr gegeben und die Immobilie und Gerätschaften befinden sich wieder im Privatvermögen. Diese beliebte Art, eine Betriebsaufspaltung zu vermeiden, können natürlich auch Gruppen von Eigentümern nutzen. Deren Möglichkeiten hatte der Bundesfinanzhof 1983 sogar in diesem Sinne ausgeweitet. Wenn nämlich die Verpachtungsgesellschaft und die GmbH weitgehend im Eigentum derselben Menschen stehen, kann es trotzdem sein, dass sich diese Eigentümer nicht einigen können, wenn es um das Grundstück geht.

Kommt eine solche Einigung nicht zu Stande, würde die Minderheit im Normalfall einfach überstimmt. Wenn sich eine Minderheit aber keinesfalls überstimmen lassen will, kann sie diese Möglichkeit vorab vertraglich ausschließen. Dann bestimmt der Gesellschaftsvertrag der Grundstückseigentümer, dass Entscheidungen nur einstimmig möglich sind. Dann genügt es zum Beispiel, dass nur ein einziger Mit-Grundbesitzer nicht oder nur geringfügig an der GmbH beteiligt ist – und schon ist die ganze Betriebsaufspaltung geplatzt. Damit kann eine Unternehmergruppe ihre Rechtsbeziehungen relativ leicht auf eine Weise gestalten, die die Betriebsaufspaltung vermeidet.

Diese Gestaltungsfreiheit haben die obersten Finanzbehörden aber fast zwei Jahrzehnte lang nicht akzeptiert, denn durch sie drohten massive Steuerausfälle. Erst 2002 lenkten sie ein, als klar war, dass sich die Richter nicht umbesinnen würden. Was aber sollte mit den Unternehmen geschehen, deren Gesellschafter ihre Betriebsaufspaltung während der Zeit beendet hatten, in der Rechtsprechung und Verwaltung gegenteilige Auffassungen vertreten hatten? Im Normalfall bedeutet diese Auflösung nämlich, dass Eigentümer alle die stillen Reserven versteuern müssen, die mit dem Anlagevermögen verbunden sind. Zum Beispiel eine Wertsteigerung des Grundstücks, die in diesen Jahren eingetreten war. Nun aber waren in der Zwischenzeit die Steuerbescheide dieser Gesellschafter bestandskräftig geworden, und die Steuer nachträglich trotzdem zu erheben, war zweifelhaft. Darum geht es in der neuen Kontroverse. Denn zeitgleich mit ihrem Einlenken beschlossen die Ministerialbeamten, dass dies einen Vorgang darstellt, der eine rückwirkende Änderung der bestandskräftigen Steuerbescheide erlaubt. Andernfalls hätten in der Zwischenzeit viele große Vermögen völlig steuerfrei das Betriebsvermögen verlassen und wären in das Privatvermögen gewechselt.

In jenem Schreiben vertrat das Bundesfinanzministerium am 7. Oktober 2002, dass eine bestimmte Vorschrift der Abgabenordnung diese rückwirkende Änderung und die Erhebung der Steuer dafür noch erlaubt. Der Bundesfinanzhof hat nun entschieden: keine Chance. Die stillen Reserven bleiben unversteuert. Zwar wird die Rechtsprechung diese Position noch einmal überprüfen. Denn in dem Fall aus MeckPomm ging es nicht um eine endgültige Entscheidung, sondern nur um vorläufigen Rechtsschutz. Weil in der Entscheidung aber schon steht, dass praktisch die gesamte Fachliteratur die Auffassung der Richter stützt, dürfte es sich bereits um eine endgültige Festlegung handeln.

Noch etwas gehört zum Bild des Ganzen: Die Rechtsform der Betriebsaufspaltung steht in keinem Gesetz. Sie geht zurück auf eine Drohgebärde des nationalsozialistischen Regimes gegenüber dem Reichsfinanzhof. Der entscheidende Steuerpolitiker dieser Jahre war Staatssekretär Fritz Reinhardt, dessen Machtbasis weniger das Reichsfinanzministerium war, als die NSDAP.

1936 verlangte Reinhardt von den eingeschüchterten Richtern, Pachteinnahmen der Gewerbesteuer zu unterwerfen, wenn die Einnahmen von einer GmbH stammen, die im Miteigentum des Verpächters steht. Oberster Auslegungsgrundsatz der Gesetze sei nämlich die nationalsozialistische Weltanschauung, manifestiert im „Willen des Führers“. Die Richter unterwarfen sich dem Verlangen, ohne auf die eigentlich erforderliche Gesetzesänderung zu pochen. Seither existiert die Rechtsform der Betriebsaufspaltung, und bis heute ist es nicht gelungen, ihre Voraussetzungen so präzise zu fassen, dass ihre Definition hätte Eingang in das Einkommensteuergesetz finden können. Diverse Versuche dazu sind gescheitert.

Und das beantwortet auch die Frage, warum die Finanzbehörden nicht versucht haben, die neue Gestaltungsfreiheit bei der Betriebsaufspaltung durch eine Gesetzesänderung zu durchkreuzen. Es gab keinen Paragrafen, der die Betriebsaufspaltung definiert und der sich ändern ließe.

© Michael Weisbrodt

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