Der Bundesfinanzhof bezeichnet eine staatliche Anweisung an die Finanzbeamten als gesetzwidrig. Die Grundlage zahlreicher Grundsteuer- und Erbschaftsteuerbescheide dürfte jetzt anfechtbar sein.
Wenn sich die Eigentumsverhältnisse an einem Grundstück ändern, muss darüber in Deutschland prinzipiell eine Urkunde angefertigt werden. Meist erledigt das der Notar. Der muss auch eine Kopie jedes solchen Vertrags an die Geschäftsstelle an die zuständigen „Gutachterausschüsse“ senden. Das sind selbständige, unabhängige Gremien, die nach dem Baugesetzbuch überall in Deutschland gebildet werden müssen.
Meist geschieht das auf der Ebene der Landkreise. Die dort abgelieferten Kopien bilden die Basis für eine umfassende Kaufpreissammlung. Aus dieser Sammlung entstehen die so genannten Bodenrichtwerte. Die Werte finden, korrigiert um individuelle Besonderheiten, Eingang in die jeweilige steuerliche Grundstücksbewertung. Über diese Bewertung erhalten die Bürger einen so genannten Grundlagenbescheid. Auf ihm fußt später die Grundsteuer und – soweit es um Grundstücke geht – die Erbschaftsteuer.
Wenn dieser komplizierte Ablauf zu zeitlichen Verzögerungen führt, kommt es leicht dazu, dass die Richtwerte den tatsächlichen Bodenwert massiv unterschätzen. Nach den staatlichen „Erbschaftsteuerrichtlinien“ der Finanzverwaltung müssen die Beamten in diesem Fall berücksichtigen, wie weit beispielsweise die Erschließung eines Grundstücks tatsächlich fortgeschritten ist, auch wenn sich diese Arbeiten noch nicht in den aktuellen Richtwerten niedergeschlagen haben. Am 28. Oktober 2004 entschied der Bundesfinanzhof, dass diese Anweisung in den Richtlinien dem Gesetz widerspricht, und zwar zu Lasten der Betroffenen (Aktenzeichen II R 62/03). Vermutlich haben die Beamten längst viele Grundsteuer- und Erbschaftsteuerbescheide auf Basis dieser Anweisung erlassen. Zahlreiche Eigentümer werden Einsprüche dagegen einlegen und gegebenenfalls klagen.
Unter den wirtschaftlich Betroffenen befinden sich allerdings überwiegend Mieter, welche die Grundsteuer mit den Nebenkosten per Umlage tragen. Vermieter werden im Zweifel keinen Grund haben, für diese Mieter vor Gericht zu ziehen. Und die Mieter haben keinen Anspruch darauf, weil der Bescheid sie selbst nicht unmittelbar betrifft. Außerdem erfahren sie nicht einmal davon, denn die Nebenkostenabrechnung geht auf solche Unstimmigkeiten nicht ein.
© Michael Weisbrodt
Zu den Entscheidungen, die der Bundesfinanzhof am 28. September veröffentlicht hat
Übersicht
I R 107/04: „Keine Rücksicht auf die Verluste“
II R 62/03: „Erbschaftsteuerrichtlinien gesetzwidrig“
III R 48/03 Die Rache der Geschiedenen
III R 66/04 Ein Kindergeldurteil, dass sich selbst widerspricht
VII B 244/04 Pflichtverstoß ohne Vermögens-Schaden?
VIII R 71/04 Steuerpflicht für die Nachspielzeit
X R 22/02 Prima Erfindung, bitteres Ende
XI R 61/04 Vergebliche Werbungskosten voll anerkannt
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