Der BFH hat ein Urteil zum Kindergeld gesprochen, das im realen Leben für Unfrieden sorgen wird, meist zu Lasten des schwächeren Partners. Es geht dabei vor allem um getrennt lebende oder geschiedene Eltern, deren Kind bei keinem der beiden Elternteile wohnt.
Zwei geschiedene Ehepartner stritten im Jahr 2000 darum, wem die Familienkasse das Kindergeld bezahlen muss. Der Sohn, ein zwanzigjähriger Student, wohnte bereits in seinen eigenen vier Wänden. Von der Mutter erhielt er monatlich 600 Mark inklusive 250 Mark Kindergeld, vom Vater 525 Mark. Im Einkommensteuergesetz steht sinngemäß, dass in solchen Fällen derjenige Elternteil das Kindergeld erhält, der den größeren Teil des Unterhalts trägt. Das war die Mutter. Der Vater klagte dagegen und verlangte, das Kindergeld bei der Berechnung außen vor zu lassen. Entscheidend sei, wie viele eigene Mittel jeder aufbringt. Netto, unter Abzug des Kindergelds, sei er derjenige, der mehr zahlt. Der Bundesfinanzhof gab ihm Recht (Aktenzeichen III R 66/04). .
Diese am Mittwoch veröffentlichte Entscheidung provoziert einen Kommentar. Abgesehen davon, dass dies Urteil offensichtlich zu Lasten des Kindes geht, erscheint es widersprüchlich.
Der BFH hat dem Vater den Anspruch auf das Kindergeld zugesprochen, ohne dass der sich dazu äußern musste, ob er die Unterstützung des Kindes entsprechend erhöhen würde. Dazu ist er natürlich nicht verpflichtet, denn das Kindergeld steht dem Gesetz zufolge den Eltern – oder in diesem Fall: dem Elternteil – zu. Und zwar ohne konkrete Verwendungsauflage, aber eben doch eindeutig mit dem Zweck, die Eltern bei der Wahrnehmung ihren Pflichten zu entlasten.
Nur hält der Bundesfinanzhof die Absicht des Vaters überhaupt nicht für erwähnenswert, ob er die Unterstützung des Kindes erhöhen will, sofern ihm das Kindergeld zugesprochen wird. Der Vater hat nach Auffassung des BFH also auch dann Anspruch auf das Geld, wenn er nur den bisherigen Unterstützungsbetrag beibehält. Das macht das Urteil widersprüchlich und zeigt, dass seine Begründung sein Ergebnis nicht trägt.
Man muss es nur auf sich selbst anwenden, um den Widerspruch zu erkennen. Es gibt dafür zwei Lösungswege.
Dieser Widerspruch wird sich in allen denkbaren Konstellation stellen und lässt sich logisch nur auflösen, wenn das Gesetz wörtlich gelesen wird und die tatsächlichen Zahlungen an das Kind den Ausschlag geben.
Allerdings enthält das Urteil die merkwürdige Formulierung, dass es „nicht mit dem Normzweck“ des Gesetzes zu vereinbaren wäre, „dass derjenige den Auszahlungsanspruch behält“, der „aus seinen selbst erwirtschafteten Einnahmen weniger zahlt als der andere.“ Was ist, wenn jemand das Kind aus Erspartem, aus einer Erbschaft, aus dem Wohngeld, aus Steuerrückzahlungen, aus der Sozialhilfe unterstützt? Oder aus Ausgleichszahlungen des früheren Ehepartners? Das Kindergeld als Hilfe zur Unterstützung des Kindes entspricht dann doch wohl noch am ehesten diesem Zweck.
Hier beschleicht den Leser das Gefühl, dass die Richter mit der Verengung auf das selbst Erwirtschaftete die Katze aus dem Sack lassen. Tendenziell wollen sie, dass schlicht derjenige das Kindergeld für sich behalten darf, der mehr verdient als der andere. Jedenfalls, sofern er, unter Abzug des Kindergelds, einen Hauch mehr an das Kind bezahlt. Dass das Kindergeld die Leistungsfähigkeit desjenigen erhöht, der ein Kind unterstützt, und dass dies der eigentlich Grund für das Kindergeld ist, das haben sie nicht im Blick. Ihre Wortwahl begründet einen Verdacht, warum die Richter zu ihrem widersprüchlichen Ergebnis gekommen sind.
Überdeutlich wird das aber durch eine Formulierung im Leitsatz des Urteils. Hier heißt es:
„Zahlen geschiedene Eltern ihrem Kind, das in einem selbständigen Haushalt lebt, jeweils eine Unterhaltsrente, hat Anspruch auf Kindergeld, wer die höhere Unterhaltsrente leistet. Hat derjenige, der das Kindergeld bisher erhalten hat, den Betrag an das Kind als Unterhalt weitergeleitet, so bleibt das Kindergeld für die Feststellung der höheren Unterhaltsrente außer Betracht.“
Ganz abgesehen davon, dass die Schlussfolgerung dieses Leitsatzes fragwürdig ist (siehe oben): Warum eigentlich benutzen die Richter den Begriff „weitergeleitet“? Soll es womöglich darauf ankommen ob sich dieses Geld mit weiteren Einnahmen oder Beständen des Elternteils (oder sonstigen Unterhalt leistenden) gemischt hat? Sollte es eine Rolle spielen, ob es auf einem gesonderten Konto eingegangen und von dort an das Kind „weiter geleitet“ worden ist? Das wäre ja ein ziemlich abwegiges Kriterium.
Real dürfte doch wohl nur die These erlaubt sein, dass das Kindergeld die eigene wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Unterstützers erhöht und deshalb abgezogen werden muss, weil ihn die Unterstützung des Kindes wirtschaftlich geringer belastet. Aber wenn tatsächlich nur das gemeint sein kann, dann hätte der BFH die ebenso abschätzige wie irreführende Formulierung vom Weiterleiten nicht ‚einfach nur so’ benutzen sollen. Was die Richter tatsächlich zu ihr bewogen hat, steht nicht im Text.
Einen Moment kommt übrigens der schreckliche Gedanke auf, der ganze 3. Senat bestünde nur aus Männern. Ein Blick in die Geschäftsverteilung beweist das Gegenteil: Drei Richterinnen, drei Richter in der Stammbesetzung. Der Vorsitz: eine Richterin.
Der Staatsbürger versucht, sich auf das Urteil einen Reim zu machen. Doch es reimt sich nicht.
Aber es wird im realen Leben für Unfrieden sorgen, meist zu Lasten des schwächeren Partners. Frieden zu stiften, scheint keine besondere Schwäche dieses Senats zu sein.
© Michael Weisbrodt
Zu den Entscheidungen, die der Bundesfinanzhof am 28. September veröffentlicht hat
Übersicht
I R 107/04: „Keine Rücksicht auf die Verluste“
II R 62/03: „Erbschaftsteuerrichtlinien gesetzwidrig“
III R 48/03 Die Rache der Geschiedenen
III R 66/04 Ein Kindergeldurteil, dass sich selbst widerspricht
VII B 244/04 Pflichtverstoß ohne Vermögens-Schaden?
VIII R 71/04 Steuerpflicht für die Nachspielzeit
X R 22/02 Prima Erfindung, bitteres Ende
XI R 61/04 Vergebliche Werbungskosten voll anerkannt
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