BFH dehnt „notwendiges Betriebsvermögen“ aus

Wenige Fallstricke fürchten Unternehmer mehr als den, dass aus ihrem Privatvermögen gegen ihren Willen Betriebsvermögen wird. Denn diese Änderung birgt eine Palette schwerer Nachteile. Der wichtigste darunter: Ein Verkauf des Vermögens kann hohe Steuerzahlungen nach sich ziehen.

Trotzdem nehmen die Fallgruppen zu, in denen eine solche Umwandlung statt findet. Das liegt nicht an neuen Gesetzen, sondern an einer Tendenz der Rechtsprechung, die auch unter den Richtern kontrovers eingeschätzt wird. Mit einem am Mittwoch veröffentlichten Urteil hat der Bundesfinanzhof trotzdem eine weitere Konstellation festgelegt, die aus Privatvermögen unversehens „notwendiges“ Betriebsvermögen macht. Betroffen ist zunächst einmal ein bekannter badischer Geschäftmann. Vielleicht aber auch der Standort Deutschland.

Als Einzelunternehmer stellte „A.“ fördertechnische Produkte her. In den 90er Jahren verpachtete er das Firmenvermögen inklusive Firmenwert und Inventar an die A-GmbH. An dieser Gesellschaft war „A.“ zu 51, seine Frau zu 49 Prozent beteiligt. 1995 gründete er zudem die A-Holding GmbH. An ihr hielten seine Frau, seine beiden Kinder und er selbst je ein Viertel. Schließlich gründete er 1996 in den USA eine A-Inc. Sämtliche Aktien dieser US-Firma besaß die deutsche Holding, und mehr besaß sie auch nicht. Auch die US-Firma produzierte Fördertechnik, teil mit Komponenten, die sie selbst herstellte, teils mit dem, was Dritte lieferten; vor allem nutzte sie Vorprodukte aus der Fabrik im Badischen. Das Einkaufsvolumen aus der deutschen Fabrik umfasste gut die Hälfte bis zwei Drittel des gesamten Einkaufsvolumens der A-Inc. Für die Arbeitsplätze in Deutschland war das gewiss von Vorteil.

Zwischen 1999 und 2001 bestritt die A GmbH etwa 10 bis 20 Prozent ihres eigenen Geschäftsvolumens aus Geschäften mit der Inc. Die Geschäfte mit anderen Großkunden umfassten weitere 13 bis 33 Prozent des Umsätze. Eine Firmenkonstruktion und eine Geschäftsentwicklung also, die ein unbefangener Beobachter eigentlich nur mit Wohlwollen betrachten kann.

1998 hatte „A.“ seine eigene Viertelbeteiligung an der Holding an seine A-GmbH verkauft. Auch dies eine Handlung, an der nichts Verwerfliches ist, nichts was vielleicht auf einen Steuertrick hindeutet. Der Holdingteil landete gleichsam dort, wo er hin gehört. Doch dieser Verkauf erwies sich als großer Fehler. Das Finanzamt verlangte für ihn nämlich annähernd ein halbe Million Euro Steuern. Begründung: Die 25 Prozent hätten sich bereits zuvor nicht im Privatvermögen, sondern im Betriebsvermögen von „A.“ befunden.

Der Unternehmer empfand das als ziemlich überraschend. Denn einen solchen 25prozentigen Anteil, über den er nicht einmal allein seinen Willen hätte durchsetzen können, hätten die Finanzämter normalerweise als Privatvermögen akzeptieren müssen. „A.“ klagte.

Der Bundesfinanzhof gestand ihm auch zu, dass zwischen „A.“ und der A-Inc „Geschäftsbeziehungen unterhalten werden, wie sie üblicherweise auch mit anderen Unternehmen bestehen“.

Aber dann zählt das Gericht ein Liste indirekter Vorteile auf, welche die amerikanische A-Inc. für den Unternehmer „A.“ nützlich machte. Sie genügte, um den Geschäftsanteil dem Privatvermögen zu entziehen und die Klage abzuweisen.

In diesem Beschluss X B 98/05 ging es eigentlich nur um vorläufigen Rechtsschutz bis zur Klärung des Problems in der Hauptsache. Aber schon jetzt ist klar: Es war die Flankierung des heimischen Firmenstandorts durch das erfolgreiche Geschäft in den USA, die den steuerlichen Nachteil bewirkte. Wenn „A.“ seine US-Strategie ein zweites Mal wählen dürfte, würde er vielleicht einen Weg wählen, der ihn nicht an Deutschland kettet.

Und noch ein Gedanke: Diese ganze Konstruktion mit dem „notwendigen“ Betriebsvermögen hat nichts mit den komplizierten deutschen Gesetzen zu tun. Es handelt sich um reines Richter-Recht. Die Rechtsprechung hat sich um das Vermögen herum einen ganz eigenen Begriffapparat aufgebaut, und unterscheidet zum Beispiel zwischen „notwendigem“ und „gewillkürtem“ Betriebsvermögen – Vermögen, das für den Betrieb nicht zwingend erforderlich ist, das ihm der Unternehmer aber aus freien Stücken zuordnet. Vielleicht um Verluste zu realisieren.

In der diesjährigen Ausgabe des Einkommensteuerkommentars von Ludwig Schmidt kritisiert das der Autor Wolfgang Heinicke die Tendenz dieser Rechtsprechung. Sie habe den Bereich des „notwendigen“ Betriebsvermögens in letzter Zeit über die ursprüngliche richterliche Definition hinaus ausgedehnt. „Dem notwendigen Betriebsvermögen werden Wirtschaftsgüter zugerechnet, die nicht notwendig für den Betrieb sind“, schreibt Heinicke. Der Fall „A.“ ist ein Beispiel dafür. Die Richter machen aus Vermögen, das für den Stammbetrieb nützlich ist, ein Vermögen, das für ihn notwendig ist. Und bleiben den Beweis dafür schuldig.

Fazit: Die These, dass ein radikal verkürztes Steuergesetz mehr Transparenz und Rechtssicherheit schafft, ist nicht belegt. Solche Paragrafen verlagern nur Regelungskompetenzen vom Gesetzgeber zu den Gerichten. Und wer kontrolliert dann die Gerichte?

© Michael Weisbrodt


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