Darf der Bundestag Steuergesetze rückwirkend verschärfen? Darf er ein Verhalten mit Steuern belegen, das Jahre zurück liegt, das unabänderlich abgeschlossen ist und das nach der damaligen Gesetzeslage vollständig steuerfrei war? Das Bundesverfassungsgericht hat dem Gesetzgeber dieses Recht wiederholt bestritten, ebenso der Bundesfinanzhof. Jetzt hat der BFH eine solche rückwirkende Änderung zum zweiten Mal für zulässig erklärt und sich dem Ansinnen verweigert, die Vorschrift dem Verfassungsgericht zur Prüfung vorzulegen (Urteil vom 7. Juli 2005, Aktenzeichen V R 32/04) .
Grundstücksmieten sind im Prinzip umsatzsteuerfrei. Dasselbe gilt deshalb auch für der Kauf eines Grundstücks. Allerdings darf ein Unternehmer dafür „optieren“, dass im Kaufpreis Umsatzsteuer enthalten ist. Damit verpflichtet er sich zugleich, dem Finanzamt auch für alle Einnahmen Umsatzsteuer zu bezahlen, die er mit dem Grundstück erzielt. Diese Verpflichtung bindet ihn für mindestens zehn Jahre. Der Vorteil dieser Option: Zunächst einmal erstattet das Finanzamt die 16 Prozent Vorsteuer, die im Kaufpreis des Grundstücks enthalten sind.
Wenn ein Unternehmer das Grundstück verkauft, bevor die zehn Jahre verstrichen sind, muss er dies Geld dem Staat anteilig zurückzahlen. In solchen Fällen streiten die Unternehmer oft mit dem Finanzamt, mit welchem Stichdatum die Frist von zehn Jahren beginnt. Je weiter das Datum zurück liegt, desto geringer sind die Rückzahlungen.
Im Dezember 2001 beschloss der Bundestag mit Zustimmung des Bundesrats eine Änderung des Umsatzsteuergesetzes. Die neue Fassung enthielt eine engere Berechnung der 10-Jahres-Frist, die im Zweifel zu höheren Steuerrückzahlungen führt. Die Formulierung schloss vor allem eine gesetzliche Lücke für Unternehmer, die ein Grundstück weiterverkauften, ohne es je Ertrag bringend genutzt zu haben. Für sie griff die 10-Jahres-Vorschrift nämlich nicht, so dass sie die ihnen beim Kauf vom Finanzamt ausgezahlte Vorsteuer einfach behalten konnten.
Im Dezember 2003 beschloss der Bundestag, dass diese Fassung von 2001 auch für frühere Jahre gilt.
Solche Steuergesetze sind verfassungsrechtlich vor allem dann hoch riskant, wenn sie zu einer so genannten „echten Rückwirkung“ führen. Dies Etikett gilt für Vorschriften, welche die Rechtsfolgen eines bereits abgewickelten, vergangenen Tatbestands verändern. Das Risiko liegt darin, dass das Bundesverfassungsgericht dann die ganze Vorschrift zum Einsturz bringt. Die Änderung vom Dezember 2003 enthielt eine solche echte Rückwirkung.
Der Bundesfinanzhof musste nun über eine Klage über diese neue Vorschrift entscheiden. Er kam zu dem Schluss, hier tatsächlich eine echte Rückwirkung vorliegt. Sie betraf in diesem Fall eine GmbH, die in Westberlin noch vor dem Mauerfall ein Grundstück mit dem Ziel gekauft hatte, es teilweise gewerblich zu vermieten und zu bebauen. Gut zwei Jahre später und wenige Monate nach dem Mauerfall verkaufte die GmbH das Grundstück weiter, ohne dass sie je Anlass gesehen hatte, Umsatzsteuern abzuführen. Aber die Erstattung der Vorsteuern auf den Kauf hatte sie in Anspruch genommen. Nach alter Rechtslage hätte die GmbH diese fast 73.000 Mark behalten können,
Der BFH entschied, dass das Rückwirkungsverbot in solchen Fälle nicht greift. Die GmbH habe keinen Anspruch auf „Vertrauensschutz“. Die Gesetzesänderung habe lediglich eine Gesetzeslücke geschlossen, die in der zugrunde liegenden Norm – der Umsatzsteuer-Richtlinie der EU – nicht vorgesehen sei. Diese Lücke war in den späten 80er Jahren von der Rechtsprechung entdeckt worden. Die erste Instanz – das Finanzgericht Berlin – hatte der klagenden GmbH Recht gegeben.
Der BFH hatte bereits im vergangenen Herbst eine Entscheidung gefällt, welche die echte Rückung eines Steuergesetzes akzeptierte. Damals ging es um die Erbschaft- und Schenkungsteuer (Urteil vom 20. Oktober 2004, Aktenzeichen II R 74/00).
© Michael Weisbrodt
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