Neues Leben für das alte Zweikontenmodell

1999 kam es zu einer formalistischen gesetzlichen Korrektur einer ebenfalls überaus formalistischen Grundsatzentscheidung des Bundesfinanzhofs vom Vorjahr. Der BFH hatte 1998 den manipulativen „Mehrkontenmodellen“ seinen höchstrichterlichen Segen erteilt. Das Parlament entzog diesen Modellen daraufhin die Rechtsgrundlage. Doch für Unternehmen mit einem ordentlichen Finanzpolster sind die alten Modelle jetzt teilweise wieder nutzbar geworden. Das belegt eine heute veröffentlichte Pressemitteilung des Bundesfinanzhofs.

In den späten 90er Jahren prägte die Diskussion um die Zwei- und Mehrkontenmodelle die Atmosphäre in der Steuerszene. Zwei Richterfraktionen stritten damals um die richtige Auslegung des so genannten Veranlassungsprinzips aus Paragraf 4 Absatz 4 des Einkommensteuergesetzes. Dieser Absatz besteht nur aus einem einzigen Satz:

„Betriebsausgaben sind die Aufwendungen, die durch den Betrieb veranlasst sind“.

Dieser Schlüsselsatz spielt in vielen Lebenslagen von Unternehmern oder Freiberuflern eine Rolle. Denn stets stehen sie in Versuchung, private Aufwendungen „über den Betrieb laufen zu lassen“, wie es umgangssprachlich heißt – egal, ob eine privates Mahlzeit als Geschäftsessen, der überwiegend privat genutzte Pkw als Firmenwagen, die privaten Telefonate als geschäftliche Besprechungen deklariert werden.

Steuerberater empfahlen den Selbständigen unter ihren Mandanten damals, auch die Kosten eines privaten Hausbaus oder –kaufs auf den Betrieb zu verlagern. Die dafür ausgetüftelten Finanzierungsstrategien nannten sich „Zweikontenmodell“, „Dreikontenmodell“ oder „Mehrkontenmodell“.

Kernelement dieser Strategie war, die Firma oder Praxis systematisch in die Verschuldung zu treiben. Die Eigentümer sollten zu diesem Zweck sämtliche einlaufenden Einnahmen sofort aus dem Betrieb abziehen und auf ein gesondertes – privates – Konto einzahlen. Zugleich sollten sie die laufenden Kosten – Gehälter, Wareneinkauf und dergleichen – statt aus Einnahmen aus Krediten finanzieren.

Mit dem abgezogenen Geld sollte sich der Arzt, Händler oder Handwerker dann sein Privathaus kaufen. Im Ergebnis waren dann die Zinskosten, die wirtschaftlich ausschließlich mit dem Privathaus in Verbindung standen, scheinbar Betriebsausgaben.

Eine der beiden Richterfraktionen hielt eine Gesetzesauslegung, welche diesen Zusammenhang ausblendet, für Unsinn. Die über Kontenmodelle entstandenen Zinskosten konnten aus Sicht dieser Fraktion niemals zu Betriebsausgaben werden, weil sie nicht „betrieblich veranlasst“ waren. Diese Richter verfügten damals über die Mehrheit im X. Senat des BFH. Ihre Auffassung deckte sich mit der langjährigen Rechtsprechung des ganzen Gerichts.

In dem schweren Grundsatzkonflikt setzte sich damals jedoch eine formalistisch argumentierende Richterfraktion durch. Nach deren Rechtsverständnis war der Gedanke der unternehmerischen Freiheit ausschlaggebend: Dem Betriebsinhaber stehe es frei, ob er seinen betrieblichen Finanzbedarf über Eigen- oder Fremdmittel decke. Entscheidend sei der rein formale Vorgang. Nehme ein Unternehmer einen Kredit auf und finanziere damit Betriebsausgaben, so sei dies seine höchstpersönliche unternehmerische Entscheidung, und die Kreditkosten seien abzugsfähig. Dass er die Eigenmittel zuvor abgezweigt hat, spiele keine Rolle.

Die mehr am „Common Sense“ orientierten Gegner dieser Denkweise argumentierten, dass der Unternehmer zwar zweifellos frei sei, sich so zu verhalten. Das beinhalte aber keineswegs, dass die Entscheidung für Fremdmittel zwingend betrieblich veranlasst sei.

Die Formalisten hatten damals aber die Mehrheit im XI. Senat erobert. Beide Senate, der X. und der XI., übertrugen die Entscheidung auf das Richtergremium für Grundsatzfragen, den Großen Senat. Der Große Senat übernahm die Interpretation der Formalisten. Das Gericht änderte seine bisherige Rechtsprechung und billigte die manipulativen Modelle. Dass es damit Selbständigen ein Steuerschlupfloch eröffnete, welches es Arbeitnehmern verwehrte, dass dies dem Gleichheitssatz des Grundgesetzes widersprechen musste, ließ der Große Senat nicht gelten. In seinem langen Beschlusstext von 1998 ist fast nichts über die rechtliche Ausdeutung des „Veranlassungsprinzips“ zu lesen – die eigentliche Rechtsfrage – aber sehr viel über unternehmerische Entscheidungsfreiheit.

Das kam sogar im Unternehmerlager schlecht an. Doch vor allem im politischen Bereich entstand sofort die Forderung nach einer Korrektur dieser Rechtsprechung. Der erste Politiker, der sich damals entsprechend äußerte, was der CSU-Bundestagsabgeordnete Hans Michelbach, ein fränkischer Einzelhandels-Unternehmer und Aktivist der Mittelstandsvereinigung der CDU und CSU.

Um der formalistischen Rechtsprechung des Großen Senats zu begegnen, beschloss der Bundestag 1999 einen ebenfalls sehr formalen neuen Absatz 4a in Paragraf 4 Einkommensteuergesetz.

Der begrenzt den Abzug von Zinsen selbst dann, wenn sie wirtschaftlich gesehen eindeutig betrieblich veranlasst sind, also auch dann, wenn die Kosten nach der früheren Rechtsprechung des BFH hätten anerkannt werden müssen. Schluss ist nämlich, sobald die Entnahme von liquiden Mitteln die Summe dessen übersteigt, was der Unternehmer (oder Praxisinhaber) vorher an Eigenmitteln eingelegt oder was er anschließend an Überschüssen erwirtschaftet hat. Entnimmt der Unternehmer mehr, so nennt das Gesetz dies jetzt „Überentnahmen“, entnimmt er weniger, sind dies „Unterentnahmen“. Die Grenze des Zulässigen ist nun ein Saldo zwischen Über- und Unterentnahmen des fraglichen Jahres, allerdings unter Einbeziehung aller in Frage kommender vorhergehenden Jahre. Eine Ausnahme bilden Investitionen in das Anlagevermögen: Deren Zinskosten blieben unbegrenzt abzugsfähig.

Für alle anderen Fälle vertrat die Finanzverwaltung bislang die Auffassung, dass die Jahre vor der Gesetzesänderung von 1999 nicht mitzählen, wenn der Saldo aus Unter- und Überentnahmen ermittelt wird. Das steht allerdings nicht im Gesetz. Der BFH entschied deshalb kürzlich, dass auch die Unterentnahmen der Vorjahre mitzählen. Heute veröffentlichte er das entsprechende Urteil und gab das Ergebnis in der BFH-Pressemitteilung 39/05 bekannt.

Die Entscheidung stammt vom X. Senat, also jenem Richtergremium, das sich 1998 gegen die formalistische Gesetzesinterpretation gestemmt hatte. Wären die anderen Richter dessen Rechtsprechung gefolgt, wäre die neue Gesetzesfassung überflüssig gewesen.

Nun aber hat ausgerechnet dieser Senat die Kontenmodelle teilweise wiederbelebt: Für alle Unternehmer und Freiberufler, welche sich in früheren Jahren ein wirtschaftliches Polster zugelegt hatten, steht das alte Zweikontenmodell in begrenztem Umfang wieder zur Verfügung. Die formalistische gesetzliche Korrektur der formalistischen Entscheidung des Großen BFH-Senats hatte diesen Richtern wohl keine andere Wahl gelassen.

© Michael Weisbrodt
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