BFH-Entscheidungen betreffen viele Menschen unmittelbar. Pressekonferenzen dieses Gerichts sind Medienereignisse, über die sich gut berichten lässt. Sie sind stets mit einem Wettlauf zwischen Journalisten sowie zwischen Richtern und Journalisten verbunden. Am Donnerstag ist es wieder so weit.
Morgen Vormittag führt der BFH in München seine Jahrespressekonferenz durch. Viele Journalisten fahren dort hin; manche nehmen teure Flüge. Damit sie die Kosten vor ihren Redaktionen rechtfertigen können, müssen sie mehr zu berichten haben, als die schiere Arbeitsstatistik, die BFH-Präsident Wolfgang Spindler vorträgt. Daher haben viele Journalisten den BFH schon früher immer wieder gebeten, wichtige Entscheidungen erst im Rahmen dieser Konferenz zu publizieren. Denn dann könnten sie zumindest von den mündlichen Erläuterungen berichten, und die Reise hätte sich auch in den Augen der Chefredaktionen gelohnt.
Damit trafen sie beim BFH auf offene Ohren. Denn auch dessen Richter finden es gut, wenn ihre Arbeit öffentlich gewürdigt wird. Zur Pressekonferenz vor zwei Jahren beispielsweise tischte der BFH mehrere richtige Knüller auf; darunter einen langen Vorlagebeschluss an das Bundesverfassungsgericht, der sich gegen die Verlängerung der Spekulationsfristen bei privaten Immobiliengeschäften wandte, welche die rot-grüne Koalition am 24. März 1999, also unmittelbar nach dem Regierungswechsel, im Parlament beschlossen hatte.
Der Verkauf eines privaten Grundstücks ist nach jener Gesetzesänderung nicht schon steuerfrei, wenn es der Verkäufer nur zwei Jahre in seinen Eigentum hatte. Seit der Änderung musste er nun zehn Jahre warten. Der BFH-Beschluss gegen diese gesetzliche Änderung erhielt außerordentliche Aufmerksamkeit in den Medien.
Der IX. Senat hatte seinen Beschluss – jedenfalls auf den ersten Blick – rein juristsch begründet. Auf den zweiten Blick waren die Gründe hoch politisch (Aktenzeichen IX R 46/02). Es ging um die Rahmenbedingungen, die ein Parlament einhalten muss, wenn es ein Privileg beseitigen will. Dieser Rahmen ist aus Sicht des BFH sehr eng.
Die Münchner Richter konnten mit ihrer – ganz überwiegend zustimmenden – Medienresonanz hoch zufrieden sein. Die Sache liegt dem Bundesverfassungsgericht noch vor; es hat bislang nicht entschieden. Die geänderte Vorschrift ist seither sozusagen schwebend unwirksam. Doch keinem Journalisten war es gelungen, sich die Entscheidung des BFH vorab zu besorgen.
Dabei ist es für Journalisten so schön, wenn alle anderen Berufskollegen auf das warten, was der BFH an Spannendem auftischen wird – sie selbst aber bereits über das Highlight verfügen. Dann können sie diese News als besonders exklusive Meldung vorab verbreiten und sich diebisch freuen, dass die anderen ¬– Richter, Richterinnen, Journalistinnen, Journalisten – das Nachsehen haben.
So war es auch vergangene Nacht wieder. Der BFH hatte sich darauf eingestellt, am Donnerstag die Entscheidung zu den Spekulationssteuern auf Aktiengeschäfte zu verkünden. Es war die Nachfolgeentscheidung zum Beschluss vor drei Jahren in Sachen des emeritierten Steuerprofessors Klaus Tipke gegen das Finanzamt Ratzeburg (IX R 62/99) .
Damals hatte der BFH die Spekulationssteuern für den Verkauf von Wertpapieren für die Jahre 1997 und 1998 total verworfen und die Vorschrift dem Verfassungsgericht vorgelegt. Grund: Nur wer seine Gewinne freiwillig erklärt, ist faktisch steuerpflichtig. Wer seine Spekulationsgewinne nicht erklärt, läuft kein Risiko. Folglich wird also die Vorschrift gar nicht vollzogen. Das Verfassungsgericht hat den Paragrafen inzwischen für die fragliche Zeit total abgeschafft (Aktenzeichen 2 BvL 17/02).
Jetzt lag dem BFH das gleiche Problem vor, nur diesmal für 1999. Und mit der heute veröffentlichten Entscheidung IX R 49/04 stellte sich der BFH auf den Standpunkt, dass die Vorschrift inzwischen verfassungsgemäß ist. Grund: Der Staat hat begonnen, die Konten zu kontrollieren, so sinngemäß die Pressemitteilung des Gerichts . Der BFH lehnte daher die Klage und Revision im Verfahren des Aktionärs Klaus Schäffer gegen das Finanzamt Neustadt an der Weinstraße ab.
Eigentlich hatte der BFH diese spannende Entscheidung offensichtlich erst morgen im Rahmen seiner Jahrespressekonferenz freigeben wollen. Seine Veröffentlichungsliste, die er heute wie an jedem Mittwoch um 9 Uhr ins Netz stellte, enthielt die Entscheidung noch nicht.
Doch gestern Nacht gab die Redaktion von Focus online bekannt, dass ihr das Urteil exclusiv vorab vorliegt. Und sie machte dessen Inhalt bekannt. Für die heutigen Tageszeitungen war das zu spät, um Focus online noch zu zitieren. Und am späteren heutigen Vormittag aktualisierte der BFH die Veröffentlichungsliste, stellte das Urteil ins Netz und publizierte die genannte Pressemitteilung.
Aber jetzt haben die anderen Medien keinen Grund mehr, Fokus online zu zitieren. Künstlerpech für die Kollegen.
Denn wenn es gelingt, so eine Exklusiv-Information tatsächlich in direktem Zusammenhang mit der Jahrespressekonferenz des BFH zu plazieren, ist die Medienresonanz enorm. Dazu folgende eigene Erfahrung: 1998 verfügte ich vorab über die Entscheidung des Großen Senats des BFH in Sachen Zweikontenmodelle (GrS 1-2/95).
Diese Gestaltungen erlaubten Selbständigen – und nur ihnen – ihre Betriebe auszuplündern, sie systematisch zu verschulden, um private Investitionen bar bezahlen zu können. Im Ergebnis wurden Kredite, die aus wirtschaftlichem Blickwinkel privat veranlasst waren, zu betrieblichen Darlehen. Und die Zinsen ließen sich absetzen. Simple Privatausgaben wurden zum Steuersparmodell. Der große Senat des BFH segnete diese Manipulation damals aber ab, in einer überaus kontroversen Entscheidung.
Auch damals wollte der BFH die Entscheidung auf der Jahrespressekonferenz bekannt geben. Am Tag zuvor gab die Pressestelle meines damaligen Arbeitgebers meine Meldung über den Beschluss des Großen Senats bekannt. Am Morgen vor der Pressekonferenz fanden sich die Formulierungen in allen überregionalen und vielen regionalen Zeitungen an prominenter Stelle. Ohne die Anbindung zur Pressekonferenz des BFH hätte es diese Resonanz nicht im entferntesten gegeben. Der Chefredakteur freute sich, denn in der Meldung stand auch der Name des Wirtschaftsmagazins. Die Richter freuten sich nicht, denn die Vorabinformation trug offensichtlich zu der Skandalisierung des Modells und seiner höchstrichterlichen Unterstützung bei – und damit auch zu der späteren gesetzlichen Abschaffung oder zumindest Eingrenzung dieser Manipulation.
Nun darf man also gespannt sein, ob das Gericht für morgen früh doch noch einen Knüller in petto hat, den niemand vorher kannte.
© Michael Weisbrodt
zum Anfang des Weblog