Die falsche Quote des Herrn Däke

Wenn von hundert Prozent Gehalt ein Drittel für Sozialabgaben und Steuern abgehen, dann bleiben netto zwei Drittel übrig. Manche rechnen aber anders. Sie vergleichen das eine Drittel Abzüge mit den verbliebenen zwei Dritteln Netto und kommen auf eine Abgabenquote von eins zu zwei, also auf fünfzig Prozent. Zu denen, die sich dieser Methode bedienen, gehört auch der Bund der Steuerzahler und sein Präsident Karl-Heinz Däke.


Anders würde es dem Steuerzahlerbund nicht gelingen, seinen „Steuerzahler-Gedenktag“, ab dem die Menschen vorgeblich endlich für sich selbst und nicht mehr für die Staatskassen arbeiten, weit in die zweite Jahreshälfte zu legen. Nach den Berechungen des Steuerzahlerbunds – beziehungsweise seines Karl-Bräuer-Instituts – fällt dieser Tag auf den heutigen 14. Juli.

Der Maßstab des Steuerzahlerbunds – er nennt ihn „volkswirtschaftliche Einkommensbelastungsquote“ – nutzt als Rechenbasis das „Volkseinkommen“. Das Volkseinkommen umfasst einen bestimmten Teil des Einkommens der im weitesten Sinne Selbständigen – Aktionäre, Bauern, Händler, Handwerker, Industrielle, Vermieter, Zahnärzte – sowie das Einkommen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Aus diesem volkswirtschaftlichen Einkommensteil zahlen die Bürger und Firmen ihre Einkommensteuer und Körperschaftsteuer inklusive des Solidaritätszuschlags sowie die Sozialbeiträge zur Arbeitslosen-, Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung.
Aber der deutlich größte Teil der staatlichen Steuereinnahmen entstammt nicht dem Volkseinkommen, sondern dem umfassender zählenden Nationaleinkommen.

Das Nationaleinkommen entsteht nämlich aus der Summe aller von den Menschen und Unternehmen tatsächlich kassierten oder bargeldlos bezogenen Einnahmen. Der Fachbegriff dafür lautet „Primäreinkommen“ oder englisch „primary incomes“.

Zum Beispiel ergibt sich das Primäreinkommen eines Tankstellenpächters fast vollständig aus den Kasseneinnahmen der Tankstelle (abzüglich der Abschreibungen). Aus diesem Einkommen zahlt der Pächter dem Staat zunächst einmal die Mineralöl- und Mehrwertsteuer. Der Saldo aller Primäreinkommen ist identisch mit dem Nettonationaleinkommen eines Staates. (Das Bruttonationaleinkommen umfasst zudem die Abschreibungen.) Doch ob Brutto oder Netto: Aus dem Nationaleinkommen, nicht aus dem Volkseinkommen, stammen die indirekten Steuern (wie Mineralöl- und Mehrwertsteuer) und zudem bestimmte direkte Steuern, etwa die Gewerbesteuer und die Grundsteuer.

Wenn die Statistiker diese Steuern als bezahlt verbuchen und von den Primäreinkommen abziehen, bleibt ein Restbetrag. Erst dieser Rest, erhöht um die vom Staat gezahlten Subventionen, ergibt das Volkseinkommen oder wissenschaftlicher ausgedrückt das „Nettonationaleinkommen zu Faktorkosten“ (englisch „Net National Income at Factor Cost“). Eine englische Übersetzung für Volkseinkommen gibt es nicht.

Der Steuerzahlerbund (genauer: sein Karl-Bräuer-Institut) behauptet, dass die indirekten Steuern aus dem Volkseinkommen bezahlt werden. Das ist eine ziemlich verrückte Behauptung. Denn wenn die Statistiker die Einkommen zusammen fassen, aus denen die indirekten Steuern bezahlt werden, so heißt das Ergebnis, wie gezeigt, Nationaleinkommen. Aus dem Nationaleinkommen entstammen alle Sozialabgaben und Steuern, aus dem Volkseinkommen entstammen die Abgaben und nur der kleinere Teil der Steuern.

(Nebenbemerkung für Freaks: Dass es keinen angelsächsischen Begriff für „Volkseinkommen“ gibt, liegt daran, dass dieser Maßstab bei den Ökonomen außerhalb Deutschlands nie eine Rolle gespielt hat. Er lässt sich auch – im Gegensatz zu den Primäreinkommen – nur schwer empirisch messen. In Ländern die sich mehr auf direkte Steuern stützen, ist das Volkseinkommen relativ hoch, in Ländern, die lieber indirekte Steuern erheben, relativ gering. Die Ökonomen sehen diesen Maßstab offenbar nicht als besonders wichtig an. Dagegen hat zum Beispiel der deutsche Übersetzer von John Maynard Keynes das Nationaleinkommen unzutreffend einfach mit Volkseinkommen übersetzt. Der Unterschied war ihm allerdings bewusst. Er schrieb 1938 in eine Fußnote der „Allgemeinen Theorie“, die unkorrekte Übersetzung sei zulässig, weil das Volkseinkommen in Deutschland der gebräuchlichere Maßstab sei. So schmoren viele deutsche „Volks“wirte weiter im eigenen Saft.)

Das deutsche Volkseinkommen betrug vergangenes Jahr 1,9 Billionen Euro. Der im Volkseinkommen nicht enthaltene Löwenanteil der Steuern betrug – bereinigt um Subventionen –0,3 Billionen Euro beziehungsweise in Relation zum Volkseinkommen 15 Prozent.

Aber spielt es überhaupt eine Rolle, ob die indirekten Steuern im Volkseinkommen enthalten sind oder nicht? Ja, und zwar eine entscheidende.

Erstens, weil es zeigt, dass der Steuerzahlerbund die Abgabenbelastung in die Höhe manipuliert. Weil er die Bürger beim überwiegenden Teil der Steuern mit der eingangs geschilderten Brutto- Netto-Methode (ein Drittel von hundert sind 33,3 Prozent, ein Drittel im Vergleich zu den verbleibenden zwei Dritteln sind 50 Prozent) narrt.

Wollte der Steuerzahlerbund eine echte Quote errechnen, müsste er die indirekten und direkten Steuern sowie die Sozialabgaben am Nationaleinkommen messen, das alle diese Größen enthält. Er rechnet aber anders: Er errechnet den Anteil der direkten Steuern und der Sozialabgaben am Volkseinkommen – insoweit zulässig –, erhöht dann aber das Ergebnis um den Prozentsatz, um den das Nationaleinkommen das Volkseinkommen übersteigt – also vor allem um den der indirekten Steuern im Verhältnis zum Volkseinkommen. Das stellt natürlich eine ganz und gar unechte Quote dar. Der Steuerzahlerbund dürfte dies Mischwerk nicht „volkswirtschaftliche Einkommensbelastungsquote“ nennen.

Zweitens und vor allem aber enthält dies Gemisch versteckt einen perfiden Mechanismus, der schwer zu durchschauen ist: Die so genannte „volkswirtschaftliche Einkommensbelastungsquote“ des Steuerzahlerbunds kann selbst dann massiv ansteigen, wenn die tatsächliche Belastung der Bürger mit Steuern und Abgaben konstant bleibt oder sinkt.

Ganz einfach, weil Änderungen der indirekten Steuern bei der Rechenmethode des Steuerzahlerbunds viel schwerer wiegen als Änderungen der direkten Steuern und der Sozialabgaben. Bei der Quote beziehen sich der Zähler auf einen konstanten Nenner (zum Beispiel ein Drittel von Hundert). Bei dem falschen Quotenteil des Herrn Däke sinkt der Nenner, wenn der Zähler steigt.

Beispiel: Der Staat führt Ökosteuern ein, senkt aber im exakt gleichen Umfang die Einkommensteuern. Dann  sinkt der prozentuale Anteil des Volkseinkommens am Nationaleinkommen. Die Abgabenquote des Steuerzahlerbunds steigt, obwohl die Belastung der Bürger gleich bleibt und sich die Finanzstruktur des Staats verbessert.

Der gleiche Effekt tritt ein, wenn der Staat beispielsweise auf Renten- oder Arbeitslosenbeiträge verzichtet, dafür aber die Umsatzsteuer erhöht.

In der Berechnung des Steuerzahlerbunds verlassen die entsprechenden Milliardenbeträge dann immer den Bereich des Volkseinkommens, beziehungsweise der echten Quote, wandern in den Bereich der falschen Quote und haben statistisch ein höheres Gewicht. Und obwohl sich die Gesamtbelastung der Bürger kein bisschen ändert, steigt die „volkswirtschaftliche Einkommensbelastungsquote“ des Steuerzahlerbunds an.

Übrigens: Vor einem Jahrzehnt berechnete der Steuerzahlerbund die Abgabenquote und seinen Steuerzahler-Gedenktag noch korrekt am Maßstab des Bruttoinlandsprodukts, der fast identisch mit dem Bruttonationaleinkommen ist. Der Steuerzahler-Gedenktag lag im Mai. Zur jetzigen Berechnungsweise kam es dann, als sich die rot-grüne Koalition anschickte, Ökosteuern zu erheben und die Einkommensteuer entsprechend zu senken. Ein Anstieg des „Volkswirtschaftlichen Einkommensbelastungsquote“, ein Verschieben des „Steuerzahler-Gedenktags“ weiter in Richtung Herbst war damit also auch für den Fall gesichert, dass eine belastungsneutrale Umschichtung in dem von rot-grün geplanten Sinne zu Stande käme.

Bestimmt kein Schelm, wer Böses dabei denkt.

Michael Weisbrodt

4 Responses to “Die falsche Quote des Herrn Däke”

  1. […] Holznagel aber gemeint haben könnte, ist die „volkswirtschaftliche Einkommensbelastungsquote“. Dies ist eine Kennziffer, die der Bund der Steuerzahler selbst erfunden hat. Sie ist […]

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