Sind die Interessen des Finanzamts unmittelbar vor einer Insolvenz besser gesichert als die der anderen Gläubiger? Der Bundesgerichtshof und der Bundesfinanzhof haben darüber gegensätzliche Auffassungen. Der BFH gab bislang der Behörde den Vorzug. Eine zutreffende Antwort in diesem Konflikt ist eine Existenzfrage für viele Selbständige.
Mit diesem Dissens zwischen dem BGH und sich selbst musste der BFH jetzt fertig werden. Es ging um die persönliche Haftung des Geschäftsführers einer württembergischen GmbH & Co KG. Er hatte in den Monaten vor der Anmeldung der Insolvenz keine Lohnsteuer mehr abgeführt. Das Finanzamt hatte ihn dafür persönlich haftbar gemacht. Es hatte sich dabei auf die ständige Rechtsprechung des BFH berufen.
Der BFH meint nämlich, dass ein Unternehmen, welches seine Geschäfte auch noch während der letzten drei Monate vor dem Insolvenzantrag fortführt, dem Finanzamt laufend Lohnsteuern abführen muss. Diese Zahlung sei Teil eines so genannten Bargeschäfts im Rahmen der Insolvenzordnung. Der Begriff kennzeichnet wechselseitige gleichwertige Leistungen und Gegenleistungen, ohne die keine laufenden Geschäfte mehr geführt und mit denen andere Gläubiger nicht geschädigt werden könnten. Ein Beispiel: Arbeitsleistung und Entlohnung. Der BFH zählt dazu auch die Abführung der Lohnsteuer. Handelt es sich tatsächlich um ein Bargeschäft, können es die anderen Gläubiger im Rahmen der Insolvenz auch nachträglich nicht mehr anfechten. Das Finanzamt hätte sein Schäfchen also im Trockenen.
Diametral entgegengesetzt ist die Auffassung des Bundesgerichtshofs. Der hatte sich unter anderem damit zu befassen, dass ein Arbeitgeber kurz vor der Insolvenz keine Arbeitnehmerbeiträge mehr zur Sozialversicherung abführte. Das war fraglos ein Pflichtverstoß. Aber der BGH kam zu der Ansicht, dass der Arbeitgeber damit niemandem einen Schaden zugefügt hatte.
Hätte der Arbeitgeber die Beiträge nämlich abgeführt, hätten die anderen Gläubiger diese Zahlungen womöglich erfolgreich anfechten, das Geld von der Kasse zurückholen und es zur allgemeinen Verteilung bereit stellen können. (BGH-Urteile vom 14. November 2000 VI ZR 149/99 und vom 18. April 2005 II ZR 61/03).
Das Finanzgericht in Karlsruhe hatte sich in dem jetzigen konkreten Insolvenzfall zwischen BFH und BGH entscheiden müssen. Es zog die Position der örtlichen Berufskollegen vor und hob den Haftungsbescheid gegenüber dem Geschäftsführer auf. Die dagegen gerichtete Beschwerde des Finanzamts wies der BFH jetzt ab. Das oberste Steuergericht sah sich außerstande, diese Grundsatzentscheidung im Rahmen eines einstweiligen Rechtsschutzverfahrens gegen den Geschäftsführer zu treffen (Aktenzeichen VII B 244/04). Die Münchner Richter werden sich demnächst wohl im Hauptsacheverfahren überlegen müssen, ob sie ihre langjährige Auffassung beibehalten und den Konflikt mit dem BGH wagen. Oder ob sie sich nicht lieber ihren Karlsruher Kollegen beugen.
© Michael Weisbrodt
Zu den Entscheidungen, die der Bundesfinanzhof am 28. September veröffentlicht hat
Übersicht
I R 107/04: „Keine Rücksicht auf die Verluste“
II R 62/03: „Erbschaftsteuerrichtlinien gesetzwidrig“
III R 48/03 Die Rache der Geschiedenen
III R 66/04 Ein Kindergeldurteil, dass sich selbst widerspricht
VII B 244/04 Pflichtverstoß ohne Vermögens-Schaden?
VIII R 71/04 Steuerpflicht für die Nachspielzeit
X R 22/02 Prima Erfindung, bitteres Ende
XI R 61/04 Vergebliche Werbungskosten voll anerkannt
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