Stillhalteklausel verlangt keinen Stillstand

Durfte der Bundestag 1999 eine gesetzliche Regelung zu den beruflichen Reisekosten abschaffen, welche bis zum März jenes Jahres erlaubte, die Umsatzsteuer pauschal und ohne Einzelnachweis abzuziehen? Der Bundesfinanzhof entschied jetzt, dass die Abgeordneten dazu berechtigt waren und berief sich auf zwei Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs. Ein rheinland-pfälzischer Ingenieur hatte dem Parlament dies Recht absprechen wollen und sich dabei ebenfalls auf EU-Recht berufen.

Der Bundesfinanzhof entschied, dass die Änderung von der Umsatzsteuer-Richtlinie von 1977 – Grundlage des deutschen Umsatzsteuergesetzes – gedeckt war. Die vorherige deutsche Regelung war sehr großzügig. Sie hatte einen pauschalen Vorsteuerabzug zugelassen, ohne dass ein Steuerpflichtiger für seine Ausgaben einzelne Belege hatte vorlegen müssen. Diese Besonderheit war in der EU-Richtlinie gar nicht vorgesehen.

Das wiederum hatte der Ingenieur auch nicht behauptet. Sein Punkt war ein anderer: Die Richtlinie lasse überhaupt nicht zu, dass ein Nationalstaat seine bisherigen Besonderheiten abschafft, wenn dem nicht der EU-Rat zuvor ausdrücklich zugestimmt hätte.

In der Tat enthält die Richtlinie von 1977 eine entsprechende „Stillhalteklausel“. Der BFH lehnte die Klage trotzdem ab und begründete das mit zwei Argumenten. Zum einen nähere sich Deutschland durch die Abschaffung dieser Besonderheit der EU-Richtlinie weiter an. Zum anderen habe der Europäische Gerichtshof in zwei Urteilen festgelegt, dass die Zustimmung des EU-Rats nach der Stillhalteklausel nur notwendig ist, wenn der Gesetzgeber nationale Sonderregelungen erweitern will, nicht wenn er sie einschränkt. In diesen zwei Urteilen hatte der EuGH jeweils eine Klage der EU-Kommission gegen Frankreich in vergleichbaren Fällen abgelehnt.

Der Ingenieur hatte auch gegen eine Änderung in der Umsatzsteuer-Durchführungsverordnung geklagt. Dabei handelt es sich um eine Art Verwaltungsanweisung, auf die sich die Bürger im Normalfall unmittelbar berufen können. Das Umsatzsteuergesetz ermächtigt den Bundesfinanzminister, die Verordnung mit Zustimmung des Bundesrats zu erlassen oder zu ändern. Der BFH entschied, dass die Änderung dieser Anweisung im Jahr 1999 ebenfalls zulässig war (Aktenzeichen V R 4/03).
© Michael Weisbrodt

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