Exporteure, die einen ausländischen Umsatzsteuerhinterzieher trotz sorgfältiger Überprüfung für ehrenhaft gehalten haben, sind fein raus. Sie können die Vorsteuer für die innerhalb der EU exportierte Ware steuerlich abziehen, ihre Lieferung ebenfalls steuerfrei lassen und das Risiko auf den Staat abwälzen. Was aber, wenn sich der Exporteur nur dumm stellt? Der Bundesfinanzhof und der Europäische Gerichtshof befassen sich derzeit wieder mit der Frage, wie sich die Gutgläubigkeit belegen lässt. Gerade gewährte der BFH einem Unternehmer deshalb einstweiligen Rechtsschutz.
Steuerhinterziehung hat nicht immer mit Schwarzgeld zu tun. Im Gegenteil. Das derzeit beliebteste Verfahren, den Staat zu behumsen, besteht darin, sich als steuerpflichtiger Unternehmer ganz offen an die Finanzämter zu wenden und dort einen abgeschlossenen Export innerhalb der Europäischen Union zu melden. Und zu behaupten, der Abnehmer auf der anderen Seite der Grenze sei ebenfalls ein Unternehmer. Es sei in seinem eigenen Land ebenfalls umsatzsteuerpflichtig. Mit dieser Begründung zwingt der Verkäufer das hiesige Finanzamt, ihm die ganze inländische Umsatzsteuer zu erstatten, die er hier für die Ware bezahlt hatte. Umsatzsteuer für den Export aber braucht er nicht zu zahlen.
In einer Vielzahl solcher Fälle ist jedoch der ausländische Abnehmer in Wahrheit gar nicht steuerpflichtig und betreibt das Geschäft auf die gleiche Weise weiter. Und die Ware wandert womöglich umsatzsteuerfrei ins nächste EU-Land, kommt vielleicht sogar nach Deutschland zurück. Diese umsatzsteuerlichen Karussell-Geschäfte führen zu einem jährlichen Umsatzsteuerbetrug in zweistelliger Milliardenhöhe, wie der Bundesrechnungshof schätzt. Die Geschäfte laufen mit Waren jeder Art. Besonders beliebt war zeitweise der Verkauf von Posten mit hunderttausenden von Handys oder Computer-Prozessoren. Auch Autos eignen sich hervorragend dazu.
Eigentlich muss der Inländer in solchen Fällen den Schaden wieder gutmachen und dem Staat die erstattete Umsatzsteuer zurück geben. Aber das scheitert meist. Zum Beispiel daran, dass der Unternehmern über dieses Geld gar nicht mehr verfügt. Die professionellen Händler bedienen sich nämlich zu gerne eines mittellosen Strohmannes, der diese Schmutzarbeit für ein geringes Honorar gern erledigt.
Oder der deutsche Unternehmer beruft sich darauf, gutgläubig gewesen zu sein. Das Umsatzsteuergesetz bestimmt nämlich, dass der Unternehmer nicht zur Rückzahlung verpflichtet ist, wenn er unrichtigen Angaben seines ausländischen Abnehmers geglaubt hatte – obwohl er selbst mit der „Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns“ (so die Formulierung im Gesetz) vorgegangen wäre. Die Vorschrift hat ihren guten Grund. Betrüger sollen zahlen – und auch, wer es Betrügern leicht gemacht hat. Aber wer selbst nach allen Regeln der Kunst betrogen wurde, soll geschützt sein, damit der internationale Handel nicht stockt. Für Finanzämter und Staatsanwaltschaften ist es jedoch nicht leicht, Täter und Opfer genau auseinander zu halten. Das gelingt nur manchmal.
Im vergangenen Mai zum Beispiel hat der Leipziger Strafsenat des Bundesgerichtshofs einen süddeutschen Ferrari-Händler und dessen Schwester zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt, wenn auch auf Bewährung. Die Richter sahen es als erwiesen an, dass die beiden – sie führen gemeinschaftlich ein Autohaus – zehn teure Autos mit diesem Trick nach Italien verschoben, sich Steuererstattungen in Höhe von 1,7 Millionen Mark erschwindelt und ihre Gutgläubigkeit nur vorgetäuscht hatten (Aktenzeichen BGH 5 StR 36/05).
Derzeit überprüft der Europäische Gerichtshof in Luxemburg auf Antrag des Bundesfinanzhofs, wo die Grenzen der Gutgläubigkeit liegen. Eine ähnliche Anfrage hat auch das englische High Court of Justice nach Luxemburg geschickt. Vom Ausgang dieser Verfahren hängt viel für eine ganze Reihe deutscher Unternehmer ab, und sogar mehrere weitere beim BFH anhängige Prozesse warten auf das Luxemburger Ergebnis.
Gerade erst Anfang Januar hat der BFH nun den Beschluss V B 75/05 zugunsten eines deutschen Unternehmers veröffentlicht, der sich ebenfalls auf Gutgläubigkeit beruft. Er hatte sechs spanischen Scheinunternehmen 79 hochpreisige Autos geliefert. Zudem zwei an eine ebensolche belgische Firma. Die den sieben Unternehmen von deren heimischen Behörden erteilten Umsatzsteuer-Identifikationsnummern waren zum Zeitpunkt der Verkäufe gültig. Der Deutsche hatte sich dies vor der Abwicklung der Verkäufe durch das Bundesamt für Finanzen (seit Anfang 2006 Bundeszentralamt für Steuern) bestätigen lassen.
Zwar gaben ihm die Richter wegen der anhängigen Luxemburger Verfahren einstweiligen Rechtsschutz. Große Hoffnung indes kann sich der Kläger nicht machen. Er war nämlich so unklug, den Richtern mitzuteilen, dass er und seine Familie ruiniert wären, wenn er all die erstatteten Umsatzsteuern zurück zahlen muss. Genau diese Aussage zog die Richter nun als Begründung dafür heran, dass der Mann dem Finanzamt bereits jetzt eine entsprechende Sicherheit leisten muss. Das hätten sie wohl kaum getan, wenn sie einen Sieg des Unternehmers in der Hauptsache für wahrscheinlich gehalten hätten.
© Michael Weisbrodt
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